Die präzise Erfassung und Analyse des Ist-Zustands durch das Bestandsmodell
Die Architektur befindet sich im ständigen Wandel, angetrieben von technologischen Fortschritten und sich verändernden gesellschaftlichen Anforderungen. In den letzten Jahren hat sich ein Ansatz herauskristallisiert und in der Lehre verfestigt, der die Art und Weise, wie wir Gebäude planen, gestalten und verwalten, revolutioniert hat und künftig weiter revolutionieren wird: Building Information Modeling, kurz BIM. Das durch Geodäten erstellte Bestandsmodell ist eine erste große Aufgabe im BIM-Prozess und bietet viele Vorteile und Chancen.
Einführung in Building Information Modeling (BIM)
BIM revolutioniert die Art und Weise, wie wir Gebäude entwerfen, planen und verwalten, indem es einen digitalen Ansatz bietet, der den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks abdeckt. Ein BIM-Modell ist weit mehr als nur eine 3D-Darstellung eines Gebäudes; es ist eine umfassende
Datenbank, die alle relevanten Informationen über das Bauwerk enthält.
Immer mehr Länder erkennen die Vorteile von BIM und setzen diese Technologie in ihren Bauprojekten ein. Einige Länder haben bereits weitreichende BIM-Initiativen implementiert, die dazu beitragen, die Effizienz, Qualität und Nachhaltigkeit ihrer Bauprojekte zu verbessern.
Ein herausragendes Beispiel ist Großbritannien, das eine führende Rolle in der Einführung von BIM-Methoden einnimmt und BIM seit 2016 bei öffentlichen Bauprojekten einfordert. Dies hat zu einer breiten Akzeptanz und Anwendung von BIM geführt.Ebenso ist die BIM-Methodik in den skandinavischen und baltischen Länder Europas weit verbreitet. Der größte finnische Immobilienbesitzer verlangt schon seit 2007, dass alle eingereichten virtuelle Modelle dem IFC-Standard entsprechen müssen. Und Norwegen schreibt sogar vor, dass bei allen Projekten, die der staatlichen Bauverwaltung unterliegen, auf BIM nur mit spezieller Ausnahmegenehmigungen verzichtet werden kann. In Deutschland ist die Anwendung von BIM noch nicht flächendeckend verbreitet, aber es gibt zunehmendes Interesse und Aktivitäten in diesem Bereich. Die Bundesregierung hat die Bedeutung von BIM erkannt und verschiedene Initiativen gestartet, um die Einführung dieser Technologie zu fördern. Einige Bundesländer haben bereits BIM-Anforderungen für öffentliche Bauprojekte eingeführt, und viele Unternehmen in der Baubranche beginnen, BIM in ihren Projekten einzusetzen.Insgesamt ist BIM ein globaler Trend, der die Art und Weise, wie wir Gebäude planen, gestalten und verwalten, fundamental verändert. Die zunehmende Akzeptanz und Anwendung von BIM in verschiedenen Ländern zeigt, dass diese Technologie nicht nur ein vorübergehender Trend ist, sondern sich zu einem wesentlichen Bestandteil der modernen Baupraxis entwickelt.
Herausforderungen bei Projekten im Bestand
Projekte im Bestand sind mit einer Vielzahl von Herausforderungen verbunden, die Architekten und Planer vor besondere Schwierigkeiten stellen. Diese Herausforderungen sind oft komplex und vielschichtig, da sie nicht nur die physische Struktur des Gebäudes betreffen, sondern auch rechtliche, finanzielle und zeitliche Aspekte umfassen. Ein häufiges Problem bei Projekten im Bestand ist, dass detaillierte Pläne und Unterlagen des Gebäudes fehlen, veraltet, ungenau oder fehlerhaft sind. Dies kann verschiedene Gründe haben, wie beispielsweise fehlende Archivierung, Verlust von Dokumenten im Laufe der Zeit oder ungenaue Dokumentation während der Bauphase. Das Fehlen aktueller und präziser Unterlagen erschwert die Planung und Durchführung von Umbauten, Sanierungen oder Renovierungen erheblich, da Architekten und Planer nicht auf zuverlässige Informationen zurückgreifen können.
Bestehende Gebäude sind oft das Ergebnis zahlreicher Anpassungen und Erweiterungen im Laufe der Zeit. Diese können von verschiedenen Besitzern oder Nutzern vorgenommen worden sein und können zu einer heterogenen Struktur führen, die schwer zu verstehen ist. Die Identifizierung und Dokumentation dieser Anpassungen und Erweiterungen ist entscheidend, um potenzielle Konflikte oder Probleme während des Planungs- und Bauprozesses zu vermeiden.
Die Vielzahl von Anpassungen und Erweiterungen in bestehenden Gebäuden führt oft zu Unsicherheiten und Risiken für Architekten und Planer. Diese Unsicherheiten können sich auf verschiedene Aspekte beziehen, wie beispielsweise die Stabilität der Struktur, die Einhaltung von Baunormen und -vorschriften oder die Kosten und Zeitpläne des Projekts. Die Bewältigung dieser Unsicherheiten erfordert eine sorgfältige Analyse und Planung sowie gegebenenfalls die Einbindung von Experten aus verschiedenen Fachbereichen. Projekte im Bestand erfordern oft eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Parteien, einschließlich Architekten, Ingenieuren, Bauherren, Handwerkern und gegebenenfalls Denkmalschutzbehörden. Die effektive Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen diesen Parteien ist entscheidend für den Erfolg des Projekts, kann jedoch aufgrund der Komplexität und Unsicherheit von Projekten im Bestand eine Herausforderung darstellen. Durch den Einsatz von BIM und insbesondere des Bestandsmodells können jedoch viele dieser Herausforderungen erfolgreich bewältigt werden, indem eine präzise Erfassung des Ist-Zustands des Gebäudes ermöglicht wird.
Bestandsmodell in der BIM-Methodik
Das Bestandsmodell, das durch moderne Vermessungstechnologien wie Laserscanner erstellt wird, spielt eine entscheidende Rolle in der BIM-Methodik, insbesondere bei Projekten im Bestand. Es dient als grundlegende Informationsquelle und bildet die präzise Erfassung des Ist-Zustands eines Gebäudes in digitaler Form ab. Die Rolle des Geodäten bei der Erstellung dieses Bestandsmodells ist von zentraler Bedeutung und bildet die Grundlage für den gesamten BIM-Prozess.
Der Geodät nutzt moderne Vermessungstechnologien wie Laserscanner, um das bestehende Gebäude millimetergenau zu vermessen. Durch den Einsatz hochpräziser Instrumente und Methoden kann der Geodät alle relevanten geometrischen Informationen des Gebäudes erfassen, einschließlich seiner Struktur, Abmessungen, Oberflächen und Ausstattungen. Neben den geometrischen Informationen erfasst der Geodät auch erste weitere relevante Daten, die für den BIM-Prozess von Bedeutung sind. Dazu gehört die einfache und augenscheinliche Wahl der Materialien und Bauteile. Diese Daten werden in das Bestandsmodell integriert und bilden eine Datenbank, die als Grundlage für die weitere Planung und Ausführung von Bauprojekten dient. Dies ermöglicht Architekten, Ingenieuren und anderen Projektbeteiligten, auf genaue und präzise Informationen über den Ist-Zustand des Gebäudes zuzugreifen, was eine fundierte Planung und Ausführung von Umbauten, Sanierungen oder Renovierungen ermöglicht.
Durch die präzise Erfassung und Darstellung des Ist-Zustands des Gebäudes trägt das Bestandsmodell dazu bei, die Effizienz des gesamten BIM-Prozesses zu steigern und Risiken zu minimieren. Potenzielle Konflikte oder Probleme können frühzeitig erkannt und vermieden werden, was zu einer reibungsloseren Durchführung des Bauprojekts führt. Das Bestandsmodell, das vom Geodäten erstellt wird, dient somit als Grundlage des Architekturmodells im gesamten BIM-Prozess.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Geodäten, Architekten und anderen Projektbeteiligten ist entscheidend für den Erfolg des BIMProzesses und die Realisierung innovativer Bauprojekte.
Bestandsmodell als Basis für das grundlegende Architekturmodell
In der BIM-Methodik spielt das Bestandsmodell eine essenzielle Rolle für die Erstellung des grundlegenden Architekturmodells. Das Architekturmodell bildet die Basis für zahlreiche weitere Fachmodelle, darunter das Tragwerkmodell, das technische Gebäudeausrüstungsmodell
(TGA-Modell) sowie andere Fachmodelle der Fachplaner. Die Präzision und Genauigkeit des Architekturmodells sind daher von entscheidender Bedeutung für den gesamten BIM-Prozess und das Bestandsmodell stellt die unerlässliche Grundlage für dessen Erstellung dar.
Das Architekturmodell, welches vom Architekten aus dem Bestandsmodell gefertigt wird, ist eine digitale Repräsentation des geplanten Gebäudes, die sämtliche gestalterischen und funktionalen Aspekte des Entwurfs umfasst. Im Gegensatz zu herkömmlichen 2D-Zeichnungen oder isolierten 3D-Modellen bietet das Architekturmodell in der BIM-Methode eine umfassende Datenbank, die nicht nur die äußere Erscheinung des Gebäudes zeigt, sondern auch Informationen zu Materialien, Oberflächen, Raumfunktionen, energetischen Eigenschaften und vielem mehr enthält. Diese detaillierte Darstellung ermöglicht es Architekten, ihre Entwürfe in einem digitalen Raum zu visualisieren, zu analysieren und zu optimieren, bevor sie in die Realität umgesetzt werden.
Das Tragwerkmodell, welches die Struktur und Stabilität des Gebäudes abbildet, basiert auf dem Architekturmodell. Ein präzises Architekturmodell ist daher unerlässlich für die korrekte Darstellung und Berechnung des Tragwerkmodells. Das Bestandsmodell liefert die genauen Abmessungen und Geometrien des Gebäudes, die für die Erstellung des Tragwerkmodells erforderlich sind. Ebenso verhält es sich mit dem TGA-Modell, welches alle technischen Gebäudeausrüstungssysteme, wie z. B. Heizung, Lüftung, Klimatisierung und Sanitär umfasst. Das Bestandsmodell als Grundlage liefert somit die erforderlichen Daten um sicherzustellen, dass das TGA-Modell nahtlos in das Gesamtmodell integriert werden kann.
Das Architekturmodell muss ganz allgemein mit den Modellen anderer Fachplaner konsistent sein, um eine reibungslose Zusammenarbeit und Koordination zu gewährleisten. Vermessungsbüros verfügen über das erforderliche Know-how und die Erfahrung, um den Bestand eines Gebäudes genau und präzise zu erfassen. Sie kennen die relevanten Vermessungstechnologien und können diese effektiv einsetzen, um hochwertige Bestandsmodelle als Grundlage zu erstellen.
Ein hochgenau gefertigtes Architekturmodell ermöglicht es, potenzielle Kollisionen bereits in der Planungsphase zu identifizieren und zu beheben. So können Konflikte zwischen beispielsweise Rohrleitungen und Tragwerkskomponenten vermieden werden, was Zeit- und Kostenersparnisse während der Bauphase zur Folge hat.
Insgesamt ist das Bestandsmodell eine unverzichtbare Grundlage für die Erstellung des grundlegenden Architekturmodells in der BIM-Methodik. Durch die präzise Erfassung des Ist-Zustands des Gebäudes ermöglicht das Bestandsmodell eine zuverlässige Planung und Ausführung von Bauprojekten und spielt ebenso eine wesentliche Rolle bei der Vermeidung von Kollisionen und führt zu zeitlichen und finanziellen Einsparungen.
Die Zukunft des Bestandsmodells in der Architektur
Mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Vermessungstechnologien und der zunehmenden Verbreitung von BIM-Methoden wird das Bestandsmodell in Zukunft eine noch wichtigere Rolle spielen. Es wird nicht nur bei Projekten im Bestand, sondern auch bei Infrastrukturprojekten zum Einsatz kommen, um eine präzise Erfassung und Analyse des Ist-Zustands zu ermöglichen. Das Bestandsmodell ist somit ein unverzichtbares Werkzeug für Architekten und Planer und die erste große Aufgabe im BIM-Prozess. Es ermöglicht eine präzise Erfassung und Analyse des Ist-Zustands, eine effiziente Planung und eine nachhaltige Gestaltung von Gebäuden.
Die präzise Erfassung des Bestandsmodells ist von entscheidender Bedeutung für den gesamten BIM-Prozess. Spezialisierte Geodäten und Vermessungsbüros spielen dabei eine Schlüsselrolle, da sie über das Fachwissen und die erforderlichen Technologien verfügen, um Gebäude millimetergenau zu vermessen und alle relevanten Daten zu erfassen. Die Expertise dieser Fachleute gewährleistet eine genaue und zuverlässige Erfassung des Ist-Zustands, die die Grundlage für eine effiziente Planung und Ausführung von Bauprojekten bildet.
Bei Projekten im Bestand, wo oft keine detaillierten Pläne vorhanden sind und die Gebäude durch zahlreiche Anpassungen und Erweiterungen geprägt sind, ist die Expertise von Geodäten unerlässlich. Sie können nicht nur den Ist-Zustand präzise erfassen, sondern auch potenzielle Herausforderungen identifizieren, die bei der Planung und Ausführung berücksichtigt werden müssen.
Wenn es um die Erfassung von Gebäuden oder auch Grundstücken für die Neubebauung an einer Grundstücksgrenze geht, spielen Öffentlich bestellte Vermessungsingenieure (ÖbVI), welche sich auf den BIM-Prozess spezialisiert haben, eine entscheidende Rolle. Sie verfügen über das erforderliche Know-how, um Grenzen eindeutig zu bestimmen und Konflikte zu lösen, die im Zusammenhang mit Grundstücksgrenzen auftreten können. Ihre Arbeit bildet die Grundlage für die korrekte Positionierung von Gebäuden und anderen Infrastrukturen und trägt somit maßgeblich zur erfolgreichen Umsetzung von Bauprojekten bei.
Das Bestandsmodell wird in der Architektur eine immer wichtigere Rolle spielen. Die Zusammenarbeit mit Vermessungsbüros und ÖbVIs wird von entscheidender Bedeutung sein, um eine präzise Erfassung und Analyse des Ist-Zustands zu gewährleisten.
Dieser Artikel von ÖbVI Carsten Schröder, M.Eng. erschein am 18.04.2024 im Deutschen Ingenieurblatt